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Ein Bericht der „Leidmedien“-Redaktion: Superkrüppel, Trotzdem-Menschen und Helden

Die „Leidmedien“-Redakteurin Rebecca Maskos hat einen aufschlussreichen Artikel zum Thema Sprache und Inklusion veröffentlicht. Bild und Wort stammen nicht von Machen-wir-was. Hier findet sich außerdem eine Tabelle mit Tipps, wie man Floskeln und klischeehafte Formulierungen ersetzen kann.

Die amerikanische Behindertenbewegung nennt sie „Superkrüppel“: Menschen, die scheinbar alles schaffen und ihre Behinderung heldenhaft „überwinden“. Solche Geschichten sind bei den Medien beliebt, denn sie schaffen Sensation. Mit dem Alltagsleben behinderter Menschen haben sie jedoch wenig zu tun. Denn jene tun Dinge meistens nicht trotz ihrer Behinderung sondern mit ihr. Ein paar sprachliche Klischees rund um die „Trotzdem-Menschen“ haben wir hier zusammengestellt. 

„Tapfer und mutig meistern sie ihr Leben“…

Zum „schweren Schicksal“ gehört fast automatisch das Überwinden, Bewältigen oder „Meistern“ der Behinderung. Gerne auch auf „tapfere“, „mutige“ oder „bewundernswerte“ Weise. Ein „normales Leben“ mit Behinderung ist für viele unvorstellbar  – und kommt es doch vor, gleicht es einem „Wunder“. So jemand „muss“ übermenschliche Kräfte haben, ein „Held“ sein oder ein Heiliger. Auf jeden Fall etwas Besonderes.

„Im Kino liebt Gülan besonders Woody Allen und Monty Python. Blind und doch immer dabei: Wie eine junge Frau ohne Augenlicht ihr Leben meistert.“ (Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.12.1997, Nr. 301, S. 34)

„Vielleicht ist die eiserne Disziplin, der sich Reithofer unterworfen hat, auch ein Signal. Wer eine solche Krankheit meistert, kann noch ganz andere Dinge bewegen.“ Aus: „Der Ziegelfabrikant. Der Chef des Wienberger-Konzerns ist gelähmt. Mit Disziplin und Tatkraft führt der MS-Patient das österreichische Weltunternehmen.“ (Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 2.10.2005, Nr. 39, S. 48)

Alternative: Keine. Für viele Menschen ist die Behinderung Teil ihres Lebens, den sie akzeptieren und als bloße Frage der Organisation verstehen – ganz ohne Tapferkeit.

Lebensfreude und Lebensmut

Bewunderung und Lob für Alltägliches – viele behinderte Menschen kennen das und wundern sich darüber. Dass sie einkaufen, arbeiten, abends ins Kino oder in den Club gehen ist für sie völlig normal, für andere aber kaum zu glauben. Heldenhaft müssen diejenigen wohl sein, die „trotzdem“ rausgehen, ihr Leben genießen, lachen und nicht traurig zuhause sitzen. Ihnen wird gerne „Lebensfreude“ oder „Lebensmut“ bescheinigt.

„Model mit Mut. Trotz Prothese behauptet sich Student Mario Galla auf den internationalen Laufstegen. … Michael Michalsky hat das Vorwort geschrieben, und der Designer betont darin, dass ihn Gallas Lebensfreude und seine positive Energie von Anfang an fasziniert haben. Sympathisch wirkt Galla außerdem.“ (Quelle: „Model mit Mut“, weltonline.de, 23.6.2012)

„’Ich liebe diesen Kurs und kenne ihn gut aus meiner Zeit von vor dem Unfall… Die Strecke ist mit dem Handbike aber ganz anders als mit einem Rennwagen. Es macht mir trotzdem großen Spaß.‘ Und wie man es von Zanardi gewohnt ist, versprüht er weiterhin eine große Lebensfreude. Dies hatte ihn schon in der WTCC zum Publikumsliebling schlechthin gemacht.“ (Quelle: „Zanardi wieder in Brands Hatch“, motor-sport-total.com, 21.6.2012)

Alternative: Keine. Behinderte Menschen wollen mit der Normalität ihres Lebens gesehen und nicht bewundert oder glorifiziert werden.

Trotz der Behinderung

„Trotz seiner Behinderung hat er einen Job bekommen“. „Trotz ihrer Krankheit lebt sie ein ganz normales Leben“. Behinderung ist in den Augen vieler etwas, das immer im Weg steht, das vom Leben abhält, passiv und abhängig macht. Behinderung können sich viele nur als Negativ-Faktor im Leben vorstellen, nicht als etwas Positives.

„Trotz seiner Querschnittslähmung blickt Samuel Koch positiv in die Zukunft. Er will sein Leben wieder selbst in die Hand nehmen und sich vor allem wieder verlieben.“ (Quelle:„Samuel Koch will sich wieder verlieben.“, in-starmagazin.de, 17.7.2012)

„Trotz Behinderung – Junger Mann mit Down-Syndrom führt eigenes Restaurant“ (Quelle: Überschrift, stern.de, 16.07.2012)

Alternative: Dass behinderte Menschen Dinge nicht trotz oder wegen, sondern mit ihrer Behinderung tun, sollte sprachlich selbstverständlich werden.

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Der Text und das Bildmaterial stammen von: http://leidmedien.de/journalistische-tipps/superkruppel-trotzdem-menschen-und-helden/